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Aus dem IGA-aktuell 2010/4

Arbeiten im Durchgangszentrum

Wer als Asylsuchende/r in die Schweiz kommt, muss sich bei einem der vier Empfangszentren (Basel, Vallorbe, Chiasso und Kreuzlingen) melden und wird nach zwei Befragungen einem Kanton zugeteilt. Im Kanton angekommen geht’s zuerst in ein sogenanntes Durchgangszentrum, danach wird man einer Gemeinde zugeteilt. Aslysuchende, auf deren Gesuch nicht eingetreten wird, sogenannte NEEs, und Asylsuchende deren Gesuch rechtskräftig abgelehnt wurde, werden je nach Kanton in speziellen Nothilfeunterkünften untergebracht oder verbleiben im Durchgangszentrum. Der Betrieb der Durchgangszentren wird von den Kantonen in der Regel an Dritte übertragen. Früher waren meistens nicht-profitorientierte Orgranisationen wie z.B. Hilfswerke Betreiber. Inzwischen werden die Asylheime zu einem grossen Teil durch profitorientierte Privatunternehmen geführt. Diese erhielten den Zuschlag, weil sie kostengünstigere Angebote vorlegen konnten als die NGOs – und vielleicht auch, weil sie ohne Murren und Diskussionen einfach ausführen, was die Kantone von ihnen verlangen. Neben dem Betreiben der Asylheime hat das Bundesamt für Migration auch die Verwaltung der Sonderabgaben an profitorientierte Privatfirmen ausgelagert, „outgesourct“.

Bericht eines IGA-Mitglieds:
Ich arbeite seit etwa 25 Jahren, mit Unterbrüchen, immer wieder als Betreuer in Asylheimen. Seit fünf Jahren arbeite ich als Nachtwache in einem Durchgangszentrum, das durch eine private Firma betrieben wird. Die Nachtwache ist hauptsächlich für die Sicherheit zuständig: dass niemand stirbt und dass es nicht brennt. Eine Nachtwache arbeitet alleine und ist von 20 Uhr bis am Morgen früh anwesend. Die Leute, die tagsüber arbeiten, sind für die Organisation, die Administration und den Unterhalt des Zentrums verantwortlich. Sie verfassen die Hausordnung und zahlen das Geld aus. Ihre Stellen sind so angelegt, dass man von der Arbeit leben kann. Von einer Nachtwache aber kann heute niemand mehr leben. Der Lohn ist im Vergleich zu früher massiv schlechter. Wenn jemand von Nachtwachen leben will, muss er in mehreren Heimen parallel arbeiten.

Alles ist anders, nicht nur der Lohn
Wenn ich vergleiche, was sich in den letzten fünfundzwanzig Jahren verändert hat, dann ist das geradezu unheimlich. Alles ist anders, nicht nur der Lohn. Früher habe ich zum Beispiel in einem Heim gearbeitet, dessen Leiter sich dafür eingesetzt hat, dass die Gemeinde eine bessere, zweckmässigere Unterkunft zur Verfügung stellt. Da haben wir gemeinsam mit den Asylsuchenden ein Fest organisiert, damit die Bevölkerung die Asylunterkunft und ihre BewohnerInnen kennenlernen konnte. Und dann haben wir tatsächlich die Abstimmung über den Kredit gewonnen, damit der Umbau realisiert werden konnte. Das Heim in welche im heute arbeite, ist total abgelegen, so dass es möglichst keinen Kontakt mit der Bevölkerung geben kann. Das ist nur ein Beispiel.

Ich habe den Eindruck, dass die Kantone nicht nur wegen tieferen Kosten heute lieber mit einer Privatfirma arbeiten, sondern vor allem auch, weil sich eine profitorientierte Firma nur um das Technische kümmert und nicht um den Inhalt. Die Hilfswerke, die früher die Heime betrieben haben, müssen ja von ihrem Auftrag her auch die Menschenwürde beachten, und dann hätten sie bestimmt nicht einfach so die neuen Massnahmen umgesetzt, die in den letzten Jahren vom Kanton verlangt werden. Eine Privatfirma interessiert das nicht. Die müssen nicht wie ein Hilfswerk überlegen, ob das was sie machen ethisch ist

Mundkorb für MitarbeiterInnen
Früher war es für mich auch normal, dass ich frei über meine Arbeit erzählen konnte. Wer sich dafür interessierte, wie ein Asylheim organisiert ist, durfte das auch erfahren. Natürlich galt, wie überall im Sozialbereich, die Schweigepflicht bezüglich der persönlichen Daten der BewohnerInnen. Heute hingegen ist es normal, dass die Mitarbeitenden sich im Arbeitsvertrag verpflichten müssen, gegenüber Drittpersonen – ausser es sei die Polizei – absolut über die Arbeitsweise im Heim zu schweigen. Ich finde diese Entwicklung total gefährlich. Wir übernehmen schliesslich eine öffentliche Aufgabe, da braucht es Transparenz. Im Extremfall führt das dazu, dass sie uns befehlen zu foltern und wir stehen unter Schweigepflicht und haben Angst vor einer Kündigung.

Das Heim in dem ich heute angestellt bin, ist sehr abgelegen und der letzte Bus fährt am frühen Abend. Zu Fuss geht es mehr als eine Stunde vom Bahnhof bis zum Heim, und im Winter kann es da draussen sehr kalt werden. Aber man will, dass die Asylsuchenden am Abend weg von der Welt sind. Der Kanton will das, die Firma führt aus.

Was die Arbeit zusätzlich schwierig macht
Ich denke, dass man die Leute weg haben will, hat einmal damit zu tun, dass es immer mehr NEE und Nothilfe-Leute gibt, und dass der Kanton einfach so unattraktiv wie irgendwie möglich sein will, damit die Leute aus der Schweiz verschwinden. Aber die verschwinden nicht. Wohin sollten sie auch verschwinden? Und andererseits wollen sie die Koksdealer weg haben. Aber die kümmert es am wenigsten, dass das Heim abends ohne Busverbindung ist, denn die können sich ein Taxi leisten. Also bleiben die Leute, die keine Wahl haben, und vielleicht bei jemandem auf Besuch waren, und den letzten Bus verpasst haben, die nun durch Regen und Schnee stapfen. Denn in der Stadt bleiben, z.B. bei Freunden oder Verwandten übernachten, dürfen sie ja nicht, denn wir haben Anwesenheitspflicht, und das ist auch so eine Geschichte, die sich in letzten Jahren ständig verschärft hat.

Es gab schon immer die Pflicht, dass sich die Leute täglich einschreiben mussten, damit sie angemeldet blieben. Früher war das irgendwann am Tag möglich. Seitdem man die Leute abends weg von der Bevölkerung haben will, ist das Einschreiben nur noch abends möglich. Im Moment ist es noch genau während einer Stunde und unter Aufsicht möglich, natürlich während der Arbeitszeit der Nachtwache. So wird die Arbeit der Nachtwache zunehmend unangenehm.

Die Nachtwache ist da, wenn die Asylsuchenden da sein müssen, wenn am meisten los ist, und es spür- und sichtbar wird, dass das Heim überfüllt ist: dass es zu wenig Platz hat im TV-Raum, weil dem Heim plötzlich 50% mehr Leute zugeteilt werden. Wenn man sich überlegen muss, Betten im Korridor aufzustellen. Tagsüber ist es im Heim recht ruhig. Vielleicht schlafen ein paar, oder sie kochen etwas. Aber die meisten sind draussen in der Welt.

Etwas anderes, das die Arbeit schwierig macht, ist dass wir eigentlich immer weniger Leute haben, die überhaupt noch eine Chance auf Asyl haben. Seit der Gesetzesänderung mit den Nicht-Eintretensentscheiden, den NEE, haben wir immer mindestens die Hälfte der BewohnerInnen in dieser aussichtslosen Situation. Ich befürchte, dass diese Aussichtslosigkeit sich irgendwann einmal in Gewalt entladen könnte. Bisher hat sich diese Befürchtung zum Glück nicht bestätigt. Einzelne Gewaltausbrüche gab es immer, ich kann keine Zunahme erkennen. Ich bin auch beruhigt, dass bei den Razzien, welche die Polizei wegen der Koksdealer im Heim durchführt, bisher noch nie Waffen gefunden wurden.

Professionellere Polizei
Als Betreuer in einem Asylheim hatte man früher schon recht häufig mit der Polizei zu tun. Und hier habe ich beobachtet, dass sich in den letzten zwanzig Jahren tatsächlich etwas verbessert hat: die Polizeibeamten, und speziell auch die Beamtinnen, gehen viel besser mit den Leuten um. Sie sprechen neuerdings Fremdsprachen und pflegen höfliche Umgangsformen. Ich glaube, dass da in der Ausbildung etwas geändert wurde. Man kann eigentlich die Faustregel aufstellen, je jünger und je weniger „hoch“ die Beamten sind, desto besser sind ihre Umgangsformen. Das ist sicher nicht überall in der Schweiz so, man liest ja immer wieder von polizeilichen Übergriffen. Aber es zeigt doch, dass eine positive Entwicklung auch in einem schwierigen Arbeitsgebiet möglich ist.

Früher war ich oft auf Reisen um die Welt zu entdecken. Heute gehe ich zur Arbeit und es ist fast das Gleiche. Exotische Sprachen und Gerüche begegnen mir mitten in der Schweiz. Ich glaube ich kann mich auch recht gut in die Situation anderer Menschen hinein fühlen. Im Asylheim prallen ja die Kulturen frontal aufeinander. Da kann es nicht schaden, wenn der Mensch mit dem Schlüssel auch mal über seinen schweizerischen Schatten springen kann. Und wenn ich einem Asylsuchenden erkläre wie z.Bsp die Direkte Demokratie in der Schweiz funktioniert und dieser mich anschaut als wolle ich ihn auf den Arm nehmen, dann verändert sich auch mein Bild von der Schweiz und meiner eigenen Kultur immer wieder.
Eigentlich mache ich die Arbeit im Asylheim gerne und ich möchte noch lange in diesem Bereich arbeiten. Deshalb habe ich mich auch entschlossen in der Gewerkschaft darüber zu berichten.

Ich glaube, dass sich in den Veränderungen, die ich im Asylbereich erlebe vieles spiegelt, das für die ganze Gesellschaft von heute typisch ist. Unangenehme Aufgaben werden ausgelagert, verdrängt, outgesourct. Schlecht bezahlte MitarbeiterInnen übernehmen diese Aufgaben. MitarbeiterInnen, die unter Androhung von Strafe und Entlassung schweigen und gehorchen müssen und ansonsten damit beschäftigt sind, irgendwie ihre materielle Existenz zu sichern.

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