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aus dem IGA-aktuell 2013.03

Blick zurück auf ein bewegtes Arbeitsleben

(Von 1965 bis 2013)

Vor sechzehn begann mein Arbeitsleben. Ein Jahr dienend in einer Genfer Arztfamilie, lernte ich nebenbei Französisch. In England, drei Stunden nördlich von London, sollte ich ein Jahr in einem ländlich verschlafenen Naturparadies als Dienstmädchen arbeiten. Da das nicht auszuhalten war, wechselte ich nach dem achtzehnten Geburtstag in eine Familie mit fünf Kindern nach London. Hier war die Arbeit sehr streng, doch die Stadt lebendig und interessant und ich war unabhängig. Ich hatte geregelte Arbeitszeiten und in der Freizeit konnte ich tun und lassen was ich wollte. Zu der Zeit fanden in London fast wöchentlich viele verschiedene Demonstrationen statt. Gegen Rassismus, gegen den Vietnamkrieg, gegen Obrigkeiten. Gegen Autoritäten jeglicher Art wurden von sehr durchmischten Gruppen in Sitin's auf Plätzen und in Parks heftig diskutiert. Die bunten, oft verrückten Hippies waren allgegenwärtig. Eine tolle Welt um Ungehorsam, Unfolgsamkeit, Frechheiten, Grenzüberschreitungen und das Anderssein entwickeln und ausleben zu können. Es wurde aufbegehrt, kritisiert, geschrien, phantasiert, getanzt und mit allem möglichen Musik und Lärm gemacht. Man wollte sich Gehör und Aufmerksamkeit verschaffen. Die Bobbies stolzierten herum, lediglich mit einem Schlagstock am Gürtel baumelnd. Pistolen hatten sie keine und von den Stöcken machten sie selten Gebrauch.
In Paris wurden die Unruhen brutal mit Tränengas und Gummigeschossen etc. niedergeknüppelt. In der damaligen Polizei CRS wüteten dieselben Typen, die sieben Jahre zuvor die algerischen Widerständigen zu hunderten in die Seine geworfen hatten. Nun schlugen sie quasi auf ihre Kinder ein. Die Erlebnisse und Erfahrungen dieser Zeit prägten den Zorn und die Wut vieler junger Menschen gegenüber Obrigkeiten, Hierarchien, Militärischem, Verwaltungen, Schreibtischtätern und Führern. Alles absolute Reizwörter, die man seit 1945 aus dem Sprachgebrauch entfernen sollte. Ausbrechen, aufbrechen, umstürzen, umkehren und umwerfen, radikal; neu definieren , anders sein, kritisieren, diskutieren, disputieren, diversifizieren, verhandeln, neu kreieren, in Bezug auf das Wohnen, das Arbeiten, das Zusammenleben, das Kinderkriegen. Vieles war möglich und hat sich verändert.

Arbeits- und Berufswahl
Mit diesen Werteinsichten und dem Zorngefühl im Bauch, ohne Geld und ohne Vitamin B schränkte sich die Berufswahl sehr ein. Zurück in der Schweiz zog ich nach Basel. Mit berufsbegleitenden Ausbildungen war es möglich für den eigenen Lebensunterhalt aufzukommen. Zeitgleich begannen sich Lehrlinge, SchülerInnen, StudentInnen, anarchistisch und kommunistisch Bewegte zu treffen. Es entstanden Diskussionen, Arbeitsgruppen aus denen Demonstrationen hervorgingen. Auch in Basel und Zürich wurden Wandsprüche wie „Nie wieder Krieg“, „Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“, „Phantasie an die Macht“ geschrieben. In Basel entstand die Arena. Zuerst in der ehemaligen Farnsburg, dann an der St. Jakobstrasse und schliesslich am Nadelberg 20. Die Arena bestand aus einem harten, heterogenen Kern. Immer kamen irgendwelche neue Leute hinzu und verschwanden wieder. Es war ein bunter engagierter Menschenknäuel, der viel bewirkte und dessen Geist und Taten bis heute mehr oder weniger in einigen, inzwischen arrivierten Organisationen weiter lebt. Auch mich prägten diese Zusammenkünfte sehr.

Zuerst arbeitete und lernte ich in der anthroposophischen Heilpädagogik, dann in der staatlichen Sozialarbeit. Eine lange Zeit interessierte ich mich sehr für Kunst, vor allem für Tanz und Bewegung und bildete mich da weiter. Mit Hilfe von Stipendien und Darlehen konnte ich auf Jahre verteilt zwei Ausbildungen absolvieren. Kurse und Weiterbildungen begleiteten mich das ganze Leben.
Ich arbeitete als Dienstmagd, als Haushaltshilfe, als Putzfrau, fand Stellen in psychiatrischen Kliniken, arbeitete am Fliessband, war Verkäuferin in einem Kiosk, Buffetdame und Verkäuferin in ConfiserieCafés und Bäckereien, war Mitinitiantin eines antiautoritären Kindergartens, seit 1979 mit diversen Tätigkeiten und Kursen im MigrantInnenbereich beschäftigt und Mitinitiantin von Frauensprachkursen.

Weil ich nach der zweiten Ausbildung nicht gleich eine Stelle fand, hatte ich unter verschiedenen Beschäftigungsprogrammen vom RAV die Wahl. Ich entschied mich für die archäologische Bodenforschung. Dort gefiel es mir so gut, dass ich als Angestellte übernommen wurde und einige Jahre als Archiviererin/Scherbenwäscherin in der Forschung dabei sein konnte. Froh mal diesen expliziten Frauenberufen entkommen zu sein, genoss ich die Diskussionen der Wissenschaftler und wünschte mir, im nächsten Leben (denn gerechtigkeitshalber musste es das geben...) forschen zu können mit Wissenserwerb Geld verdienen zu können.
Ich schrieb Lebensläufe für Stipendienanträge. In meiner ganzen Arbeitswechsel und Arbeitssuchzeit musste ich jedoch keinen einzigen Bewerbungsbrief schreiben. Man suchte Personalverantwortliche auf und war eingestellt. Meistens wurde ich gefragt: „Machst du mit?“ und ich machte mit. Der Arbeitsmarkt war voller offener Stelle und es wurden überall Leute gesucht. Für Gastarbeiter (später Fremdarbeiter/MigrantInnen) bestand noch das menschenunwürdige SaisonnierAbkommen, sie waren die Lückenbüsser.
Im Rückblick auf diese achtundvierzigjährige Arbeits- und Lernzeit kamen mir viele Bilder und Geschichten in den Sinn. Viele bunte eindrückliche Geschichten. Einen Arbeits- und Lebensverlauf, der sich von vielen heutigen ArbeitnehmerInnen, die temporär arbeiten müssen, nicht sehr unterscheidet. Meine Arbeitswechsel konnte ich jedoch frei entscheiden und konnte Neuorientierungen freien Lauf lassen. Ich war wohl angehalten, immer genug für den Lebensunterhalt zu verdienen. Aber im grossen Unterschied zu heute, bekam ich nicht unzählige Male zu hören, „schon besetzt, kein Platz mehr“, wie viele junge Menschen das heute erleben.

„Früher war auch die Zukunft besser.“ (Karl Valentin)
Anders war es früher und andere Dinge waren schwieriger. Zu arbeiten gibt es, wie früher und zu allen Zeiten, mehr als genug. Lohnarbeit existiert hingegen heute für viele keine. Wie grotesk und absurd sind die Diskussionen, die Alten sollten bis 67 Lohnarbeit leisten und die Jugendarbeitslosigkeit steigt gleichzeitig von Monat zu Monat. Junge Erwachsene, viele mit guten Ausbildungen und Voraussetzungen können sich nicht aus ihren Abhängigkeiten lösen, können sich keine eigene Wohnungen leisten, sind von Zukunftsängsten gequält, möchten Familien gründen und müssen erfahren, dass Kinder zu den Luxusgütern gezählt werden. In Anbetracht solcher Zustände schäme ich mich dieser Hinterlassenschaft. Ob man Gewalt doch nur mit Gewalt bewältigen kann? Ob man diesem 1%, das unser aller Geld und Ressourcen besitzen will, doch wieder Feuer unter dem Hintern lodern lassen sollte, wie es die Brigade rosse, die RAF u.a. handhabten?

Umdenken: ExistenzlerInnen/Workingpoors
ExistenzlerInnen sind Menschen, die um ihr Leben und das der Anderen, regional und global, besorgt sind und dafür arbeiten und kämpfen. Sie denken darüber nach, wie wir alle weiterhin existieren können, dass frisches Wasser, saubere Luft und eine gesunde Erde für alle Lebewesen existieren kann. Es sind die NaturschützerInnen, Menschen die Lebensformen entwickeln wie Urbengardening, Sozialaktivisten, NGOs, und KünstlerInnen aller Sparten, die sich für gerechtere und gesündere Arbeitsplätze einsetzen. All jene, die sich politisch organisieren für etwas einsetzen. Existenzminimumverdienende leben nachhaltig, schützen die Ressourcen, gehen sorgfältig mit ihren Einkäufen um, fahren Velo, vermögen meist kein eigenes Auto, Verschwenden keine Nahrungsmittel, sparen Strom usw. Dazu gehören auch die Workingpoors, Menschen die Arbeiten verrichten, die für eine wohlorganisierte Gesellschaft notwendig sind und oft mit ihrer Arbeit kaum das Existensminimum erwirtschaften können. ExistenzlerInnen und Workingpoors leisten einen enormen Beitrag zur Nachhaltigkeit, zur weiteren Existenz unseres Planeten. Die europäischen Regierungen haben davon Kenntnis und sie müssen reagieren. Diesen Menschen gebührt zumindest einen jährlichen Nachhaltigkeitsbonus. Damit sie einmal Ferien machen könnten, ihre Zähne flicken und sanieren könnten, sich in einem Restaurant einmal bedienen lassen könnten usw. Es gebührt diesen Menschen, ein Lob für ihre Kreativität wie sie ihr leben, meistern. Eine nachhaltige, absolut machbare Investition, wenn man bedenkt, wie mit Milliardenbeträgen schwarze Löcher von Banken und Multikonzernen gestopft werden und nur ganz wenige Menschen davon profitieren.

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