Interprofessionelle
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Aus der A-Post 2001/4: Ein IGA-Mitglied erzählt

„Die vielen Wechsel machen auch die Qualität der Arbeit kaputt“

''In der Schweiz arbeiten über 170 000 Menschen in Temporärarbeitsverhältnissen. Sie sind von einer Verleihfirma angestellt, welche sie an eine Einsatzfirma ausleiht. Diese weist ihnen die Arbeit zu, während die Verleihfirma den Lohn ausbezahlt. Die beiden Arbeitgeber schliessen ihrerseits einen Vertrag untereinander ab, welcher die Bedingungen dieser Dienstleistung festlegt. Dieser Vertrag bekommt der/die LeiharbeiterIn in der Regel nicht zu Gesicht.

Ali Saricerci kam 1986 als politischer Flüchtling in die Schweiz und hat seine Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt als Leiharbeiter gemacht. Hier sein Bericht:''

"Ich denke auch an die gesellschaftlichen Auswirkungen"
Ich wurde vom Arbeitsamt an eine Temporärfirma vermittelt, welche mich ihrerseits an verschiedene Einsatzfirmen weiter vermittelte. So lernte ich viele MitarbeiterInnen kennen, die ebenfalls temporär arbeiten müssen. Ich denke dabei nicht nur an die Auswirkungen auf die einzelne Person, sondern auch an die gesellschaftlichen Auswirkungen, die diese Arbeitsform mit sich bringt. Und ich teile meine Einsichten mit vielen anderen, die ebenso arbeiten müssen.

Eine Temporärstelle zu finden ist relativ einfach. Man muss leben, deshalb ist man froh eine Stelle gefunden zu haben. Man geht frohgemut zur neuen Stelle und beginnt zu arbeiten. Der Einsatz gefällt einem bis es plötzlich - meistens nach drei Monaten - heisst, morgen ist der Job fertig. Man kann nicht herausfinden, wer warum gekündet hat, die Einsatzfirma oder die Temporärfirma. Okay, man sucht weiter und die Moral ist noch gut. Man meldet sich bei möglichst vielen Verleihbüros an. Es heisst, wo hast Du vorher gearbeitet, welcher Beruf, welche Branche etc. Dann hast du eine neue Stelle. Irgendeinen Job, nicht in deinem Beruf, nicht in der gewünschten Branche. Okay, sagst du, du musst arbeiten und nimmst die Stelle und bist zufrieden, mindestens wieder arbeiten zu können. Nach einer Woche heisst es, der Job ist fertig. Aus, Schluss. Das Suchen beginnt von vorne.

"Ich sagte ihm, dass er sich einer Gewerkschaft anschliessen soll"
Da war ich mal in einer Firma, welche für verschiedene grosse Lebensmittelketten wie Migros, Coop u.a. Waren etikettierte. Wir arbeiteten in Gruppen von bis zu vier Personen und luden Pakete von Paletten auf den Tisch, nahmen die Waren raus, etikettierten die einzelenen Packungen und verluden sie wieder in die Pakete und diese wieder auf die Paletten. Jeweils einer der Gruppe war fest angestellt, die restlichen drei temporär von den verschiedensten Verleihfirmen. Bei uns war ein Tamile fest angestellt und ich als Türke temporär. Es kam ein junger Schweizer dazu. Wir hatten guten Kontakt, ein gutes Team. Nach einer Woche musste der junge Schweizer gehen. Ich sprach mit ihm. Er sagte zu mir: 'Was kümmerst dich als Türken hier in der Schweiz?'. Worauf ich ihm erklärte dass es Gewerkschaften braucht, damit du nicht alleine bist. Alleine bist du wie ein Stein, ein Stuhl oder irgend etwas und jeder kann machen mit dir, was er will. Ich sagte ihm, dass er sich einer Gewerkschaft anschliessen soll und machte mit ihm einen Termin aus um weiter zu sprechen. Er sagte nur noch: 'Wenn mir das noch mal passiert, werde ich nie mehr arbeiten, mein Leben lang. Ich gehe zur Sozialhilfe, die müssen mich unterstützen.'

Ich erzählte dem Personalberater der Verleihfirma diese Geschichte und fragte, wie er das findet. Er meinte, das sei seine Arbeit, und die geht mich nichts an. Ich vermittle Arbeit für alle und gebe jedem drei Monate Probezeit. Festanstellungen mache er keine und Auskunft darüber, wie viel er an der Verleihung verdient, gibt er auch nicht. Ich sprach auch mit dem Chef der Einsatzfirma und fragte ihn, warum und wer den jungen Schweizer gekündet hätte. Er sagte nur, dass er mir dazu nichts sagen kann, das Büro will das so.

"Dann kam wieder jemand und immer versuchte ich mich an die Leute zu gewöhnen"
So waren wir eine Zeitlang nur zu zweit an unserem Tisch - der Tamile und ich. Ich sollte deshalb auch am Samstag arbeiten, weil wir nicht nachkamen mit der Arbeit. Ich verweigerte die Samstagsarbeit, da ich sonst zu müde wäre am Montag. So bestellten sie von einer Temporärfirma eine Person. Es kam ein junger Mann aus Ex-Jugoslawien. Ein kräftiger junger Mann. Er konnte nicht mit uns die Kantinenmahlzeit einnehmen wegen dem Schweinefleisch. Er war Muslim. Er macht für mich die schwere Arbeit. Nach einem Monat wurde ihm gekündet. Dann kam noch ein Schweizer, dann eine Italienerin. Dann wieder jemand und immer versuchte ich mich an die Leute zu gewöhnen, erzählte von mir, bis ich dies nicht mehr tat. Meine Moral war am Ende. Ich erlitt einen Unfall und ich wurde auch gekündet. Die vielen Wechsel machen auch die Qualität der Arbeit kaputt.

"Du bist ein Mensch ohne Ordnung"
Dann gehst Du auf das Arbeitsamt und der Beamte schaut Dich mit einem Gesicht wie die Mauer des Gerichtes an. Du bist ein Mensch ohne Ordnung, immer neue Stellen, das bedeutet du bist ein unsteter Mensch und schon bist du ein schlechter Mensch. So bilden sich Vorurteile. Die Kündigung allein sagt dem Beamten schon, bevor er dich kennengelernt hat, dass du nicht arbeiten willst. Dieses System macht die Menschen kaputt, sie ziehen sich von der Welt zurück, sie verstecken sich und können sich nicht freuen an der Arbeit.

Ich war arbeitslos und wurde an ein Altersheim vermittelt zu einem Vorstellungsgespräch. Ich wollte in einer Küche arbeiten, als Küchenhilfe. Dort wurde ich gefragt, ob ich Englisch sprechen könne. Ich fragte zurück, ob die Teller, die ich abwaschen soll, englisch sprechen und sagte, dass ich lateinisch spreche. Dies gab einen bösen Streit und ich zerriss den Zuweisungsbefehl des Arbeitsamtes. Auf dem Amt musste ich mich über den Vorfall rechtfertigen. Sie empfahlen mir, einen Arzt aufzusuchen.

"Alle waren sehr interessiert, meine Postition zu hören. Doch danach habe ich nie etwas weiteres gehört"
Etwas später erhielt ich einen Umfragebogen der Stellenvermittlung. Dabei ging es um die Zusammenarbeit mit den privaten Temporärbüros. Da der Fragebogen einseitig auf die Bedürfnisse der Arbeitgeber zugeschnitten war, hab ich ihn nicht ausgefüllt. Ich wurde darauf angesprochen, und habe meine Sicht über die Temporärarbeit während zwei Stunden der Stellenvermittlerin darstellen können. Danach erhielt ich eine Einladung vom Chef der Stellenvermittlung zu einem Gespräch mit einem Dolmetscher zum Thema Temporärarbeit. Alle waren sehr interessiert, meine Position zu hören. Doch danach habe ich nie etwas weiteres gehört.

Ich wollte in meiner Heimat bereits mit 17 Jahren eine Gewerkschaftssektion gründen. Deswegen musste ich mein Alter höher setzen und einen Ausweis fälschen, da ich noch nicht volljährig war.

Ali Saricerci

Intern

Arbeitswelten