Interprofessionelle
Gewerkschaft der
ArbeiterInnen

Kleinhüningeranlage 3
4057 Basel

Tel. 061 681 92 91
Mo, Di, Do 14 - 17 h

Aktuell
Newsletter IGA-aktuell

Agenda
IGA-Jukebox!

Kalender

Leben und Arbeiten in Basel
https://mitpapieren.ch/

Das IGA-Solidaritätskonto: IBAN CH33 0900 0000 4001 2009 0

IGA-aktuell 2011/4
Fit für den Arbeitsmarkt – eine Odyssee durch den Massnahmenmarkt

Als Odyssee – eine lange Irrfahrt – beschreibt der Autor unseres Berichts seine Erfahrungen mit den verschiedensten Arbeitsintegrationsmassnahmen, die er als Sozialhilfebezüger erlebt hat. Viele Prüfungen musste er bestehen: beweisen, dass er ohne Alkoholkonsum leben kann, dass er früh morgens pünktlich zur Arbeit in der Scheinfirma erscheint, seine Selbstwahrnehmung hinterfragen, Motivationsschreiben verfassen etc.

Prüfung eins: Null Promille
Vor nun beinahe fünf Jahren wurde ich ins Klientel des Sozialamtes aufgenommen. Schon im ersten Gespräch wurde mir die unausweichliche und immer wiederkehrende Frage nach meinem Alkoholkonsum gestellt. Da ich nicht erst kürzlich in dieser meinen mißlichen Lage war, hatte natürlich dieser schon recht überhand genommen. Ich bestätigte also, wandte aber ein, daß dieser selbverständlich eine Folge meiner Arbeitslosigkeit sei, diese also das eigentliche Problem, und ob mir nicht an dieser Stelle, sei es durch eine Berufsberatung oder durch einen Kurs, geholfen werden könnte. Nach Prüfung meines doch erschwerten Falles verordnete man mir 'case management', d.h. Drogenberatung durch das Gesundheitsamt des Kantons.

Immerhin war mir die Suchtproblematik meines mir gebliebenen Umfeldes selber schon als derart problematisch aufgefallen, daß mir die Gelegenheit, mich darüber auszutauschen, nicht unangenehm war, zumal mein Berater sehr einfühlsam zugange war und mir auch Einblick gewährte in Prozedere und Struktur der Organisation, in der ich steckte. 'Case management' war demnach eine neue Angelegenheit und Aufgaben- und Kompetenzverteilungen noch weitgehend ungeregelt. So besorgte mir dieser Berater in Eigeninitiative die Finanzierung für einen Kurs, der leider für mein berufliches Fortkommen nicht taugte. So zeichnete sich ab, daß sich das Arbeitsintegrationszentrum, das AIZ, das wiederum direkt übers Sozialamt vermittelt wird, die für mich geeignete Maßnahme wäre. Wieder wurde Alkoholkonsum zum Thema und obwohl ich den Nachweis inzwischen bereits einmal erbracht hatte, daß er für mich keins ist, sobald ich einer zukunftsträchtigen Aktivität nachgehen kann, mußte ich abermals den Nachweis erbringen, fähig zu sein, von morgens bis abends nüchtern durchs Leben zu wandeln, um ins AIZ aufgenommen zu werden.

Prüfung zwei: in der Übungsfirma
Nach drei Jahren meines neuen Sozialstatus' war es soweit. Erste Maßnahme des AIZ war eine Einweisung in eine kaufmännische 'Arbeitsstelle' in einer virtuellen Firma, einer 'Übungsfirma'. Solche Firmen gibt es quer durch ganz Europa und auch jenseits des Atlantik. Während sie in der Westschweiz, in Osteuropa und in Canada in Ausbildungszentren integriert sind, verfolgen sie bei uns als Ziel zumeist 'Wiedereingliederung': sie sollen arbeitslos gewordenen Menschen – relativ egal, wie lange sie das schon sind – übungshalber 'wieder' beibringen, was arbeiten ist. Diese Institute sind von Privaten geleitet. Der Staat bezahlt sie für die 'Ausbildungsplätze', die sie Arbeitslosen zur Verfügung stellen. Das ganze ist systematisch vernetzt, damit man mit jemandem Handel treiben kann, der ebensowenig herstellt, wie man selbst. Meine Übungsfirma handelte mit kostspieligem Gartenkitsch, andere sehr häufig Büromöbeln und -material, auch Schickimickiaccessoires sind sehr beliebt, je nach Laune der jeweiligen Marketingabteilung. Jeder Teilnehmer bestellt wöchentlich im Wert von ein paar tausend Franken. Es soll schon vorgekommen sein, daß da tatsächlich eine Lieferung von fünfzig Paar roten Schuhen ankam. Glücklicherweise konnte man den Absender dazu überzeugen, sie wieder zurückzunehmen.

Ensprechend wundersame Blüten treiben Motivation, Loyalität gegenüber der Firma, und - ich nenn's mal: Heiligung des Betriebsziels (Wiedereinstieg ins Erwerbsleben), denn infolgedessen, daß das 'Produkt' eh' keine Rolle spielt, wird man mit so ziemlich allem konfrontiert, was einem Menschen seinen Job hassenswert macht, und die eigentliche Währung dieses Systems sind die Unterstützungsleistungen, bzw. die ständige Androhung ihrer Kürzung. Und weitere Realitäten sind: Ein Wust von Bürokratie: nicht stattfindende Einarbeit und Teamsitzungen, Schlamperei, eine petzende Kollegin, Formulare, Weisungspapiere, Handbücher, von zweifelhafter Brauchbarkeit. Als Krönung des Ganzen – wie könnte es anders sein und dafür wirklich schon Symbol: die Stechuhr.

Ebenso virtuell blieb denn auch das 'Coaching', das mir angedeihen sollte. Nach zwei Wochen ein Treffen mit einer Dame, die ihre Stelle erst seit kurzem bekleidete und die ihre Unsicherheit mit einem bohrend forschenden Blick wettzumachen suchte und es so erreichte, daß ich schon ihre Frage nach meinem Wohlbefinden wie ein Verhör empfand. In der Meinung, daß es wenig sinnvoll wäre, über die tatsächlichen Umstände zu schweigen, erklärte ich, daß ich mir inzwischen im dem Ganzen ganz alleine eine Tätigkeit habe schaffen müssen, leider immer noch keinen funktionierenden Arbeitsplatz habe (Computersystem, das aus Sparsamkeitsgründen zu kaum was taugt) mir dagegen die viele Kontrolle, an der Realität vorbeizugehen schien. Damit war sowohl unser Gespräch wie auch unser Verhältnis zu Ende. Als Antwort kam zudem ein sehr unfreundliches offizielles Schreiben, ein Bericht über unser Gespräch, das sowohl den Tatsachen wie auch der Sprache einige Gewalt antat. Der Chef nannte mein Verhalten 'intolerabel'. Jegliches weitere 'Coaching' blieb – virtuell, vergessen in all der Unbetriebsamkeit auch vom Chef selbst, auf dessen Schreibtisch die Verantwortung dafür nun gelandet war.

Abwechslungsreich, der Kommunikation dienlich und regelrecht erstaunlich im Vergleich dazu waren fast wöchentliche Kurstage zusammen mit Mitgliedern der Schwesterfirma, in denen der problematischen Situation 'arbeitslos – was tun?' recht einfühlsam auf den Zahn gefühlt wurde. Gleichzeitig begann mir diese Büroarbeit Spaß zu machen, wo es darum ging, den verlorenen Akten nachzuforschen: wunderliche Zeugnisse dessen, wie Menschen mit der Virtualität ihres Tuns umgingen. Auch, daß ich ausgeborgt wurde an unsere Schwesterfirma wegen dortigem Personalmangel, dort innert dreier Wochen nicht nur ein dreifaches Arbeitspensum leistete, sondern auch noch eine Woche Rückstand aufarbeitete, wofür ich wirklich liebevollen Dank der dortigen Bürochefin, allgemeinen Dank und Anerkennung und ein ordentliches Stück Freiheit erwarb, half mir, mir selber nicht mehr allzu albern vorzukommen in der Korrektheit, die ich an den Tag legte um rauszuholen, was da allenfalls noch zu holen war: ein Zeugnis.

Prüfung drei: Assessment
Für drei Monate hatte ich mich verpflichtet. Es erstaunte mich nicht, daß der Chef versuchte – mit Bewerbungen war ja nichts gelaufen, das Coaching hatte seinen Teil dazu geleistet – mich gegen meinen ausdrücklichen Willen auf weitere drei zu verpflichten. Mein Protest wurde im AIZ klag- und fraglos hingenommen. Auch das Schreiben der Coachdame wurde nicht erwähnt. Es kam der nächste Programmschritt: 'jobclub'. Beginnend mit einem einmonatigem Kurs sollen Teilnehmer danach in einer halbjährigen Stelle in der Echtwelt ihre Arbeitsfähigkeit unter Beweis stellen, während sie gleichzeitig BewerbungenBewerbungenBewerbungen schreiben sollen, je nach dem folgt ein zweites halbes Jahr, in dem auch Weiterbildung ins Auge gefaßt werden kann. Das war im Angebot. Das jeweilige Prozedere entschied sich je nach Fall.

In diesem Kurs wurde sehr viel an Bildern von Korrektheit gefeilt. Grundthema war das Wechselverhältnis von Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung, alles immer mit Hinblick auf Arbeitsverhältnisse, speziell aber auf ein Bewerbungsgespräch und eine durchdachte Darstellung des eigenen Lebenslaufes. Jegliche Hoffnung, die zu Anfang auf vertiefte, einfühlsame Behandlung von Zwischenmenschlichem gemacht wurde, verkam ziemlich bald schon mit unseren Morgenandachten, in denen wir gefragt waren, unsere Erlebnisse vom Vortag darzulegen und eigentlich alle sich darin hinter einem dazu vorgefertigten Formular versteckten. Es war wie in der Schule. Die ursprünglich als Ziel sich gebende verbesserte Selbstreflexion erschöpfte sich im Herunterleiern frommer Phrasen.

Prüfung vier: Zückerchen und Coaching
Wir waren gefordert, uns einen der beiden Kursleiter als Coach für das weitere Prozedere zu wählen. Meine Beraterin legte mir für den Augenblick zwei Optionen vor, mit Aussicht auf eine weitere mit Ausblick auf Zusatzausbildung in einem halben Jahr. Dafür, daß er eine Stelle in der Echtwelt zur Verfügung stellt, erhält der Arbeitgeber die Leistungen unentgeltlich. Ich wählte wohl falsch – nach Neigung - denn ich hätte die Aussicht auf eine folgende Anstellung besser im Auge behalten sollen. Aber ich war dennoch einigermaßen froh; ich fühlte mich einigermaßen wie endlich nach Hause gekommen in dem, was ich an meiner Echtwelt-Stelle tun konnte: philologischer, wissenschaftlicher Assistent.

'Coaching'-Gespräche einmal wöchentlich, versteht sich. Einblicke in meine Geschichte, mein Dasein, meine Mißerfolge, regelmäßig gefolgt mit der Hausaufgabe von Besinnungsaufsätzen mit schwerwiegenden Themen wie, was ich bis zu meinem Tode noch zu realisieren gedächte oder was ich dächte, was Engagement wäre und Ähnliches. Gleichzeitig die Arbeit. Es ging um Literaturrecherchen zu verschiedensten historischen Figuren, eine interessante Herausforderung in allen Belangen. Daran könnte man sich gewöhnen. Und es ist schon wahr, daß eine solche Tätigkeit nach langer Zeit ohne andauernde Beschäftigung Einen auf viele andere und neue Gedanken bringt. Aber, obwohl dies derzeitige Verhältnis eindeutig keineswegs virtuell war, behielt es leider doch auch immer etwas Künstliches und Irreales, da es ja ein Arrangement war, und eine allfällige Bestätigung, die man daraus ziehen möchte, immer auch mit einem Fragezeichen versehen ist.

Die Gespräche wurden mir zunehmend unangenehm. Es war ein fortwährendes Ausgraben von negativen Punkten, ohne jemals konkrete Lösungen dazu zu finden. Außerdem zeichnete sich ab, daß, wenn etwas konkretisiert werden sollte, wir völlig unterschiedlicher Meinung waren, und immer wieder befanden sich meine Ansichten im Ansehen von Naivität. Dann kam der Bruch: Weil ich ihr erzählte, die Arbeit beschäftige mich auch über den Feierabend hinaus, sah sie sich genötigt einzugreifen. Da ich ja wohl deshalb mich nicht ausreichend um Bewerbungen kümmere – und daran hatte ich tatsächlich nicht mehr gedacht, bzw. mich darauf verlassen, daß sie das koordinieren würde. Daran, daß auch sie Alkohol zum Thema machen wollte, wunderte mich nur noch, wie dreist sie meinte, mich zur Rede stellen zu können. Sie stellte mir die Beendigung unseres Verhältnisses zur Disposition. Und weil die ursprünglich in Aussicht gestellte Option auf ein Praktikum im Sinne einer Zusatzausbildung damit vom Tisch war, willigte ich ein – mit dem Kommentar, daß, wenn die Einschätzung meiner Person und damit die Gestaltung meiner Zukunft vom Gutdünken einer anderen Person abhängig gemacht wird, unser Unterfangen schon von vornherein verunmöglicht ist und letztlich ein solches Verhältnis auch an meine Menschenwürde taste.

Prüfung fünf: Ungewissheit
Jetzt hinterher sitze ich da und staune, von welch merkwürdigen Vorstellungen ich mich habe leiten lassen, insbesondere der Komplex Selbstsicht-Fremdsicht, zentral natürlich in der vorliegenden Problematik, wie unausgegoren war doch das, auch von mir, der ich glaubte mit Umsicht vorsichtig genug mit solchen Themen umzugehen, und wieviel Vergeudung an Mühe und Zeit für soviel Aneinander-vorbei-Gerede, nur um den eigenen Verstand im Nachhinein mit ebensoviel Fleiß von all den Flöhen, diesen Obsessionen, wieder zu befreien zu müssen.

Die Geschichte hat noch keine Ende. Pervers vielleicht schon fast habe ich ein Interesse daran entwickelt, was mir da im weiteren in Aussicht gestellt wurde: die IV. Man läßt nicht locker, denn irgendwo muß ich ja hingehören. Mich nimmt wunder, wie man dort 'meinen Fall' behandelt. Ich wappne mich, ich bin auf der Hut. Ich will meine Interessen deutlich im Auge behalten – hoffentlich klar genug! -, ohne Rücksicht auf das, was mir angeboten wird: keine Kompromisse. Letztlich ist sowas wie ein Bewerbungsgespräch. Ich will sowas wie Gerechtigkeit den Tatsachen gegenüber, denn wie will man etwas auf die Beine stellen können, wenn man das nicht bringt? Zu oft habe ich Zustände vermißt, wo unten unten und oben oben ist. Wird man mich dort dafür für krank erklären wollen? Ich habe noch gezögert und schon sind sie wieder hinter mir her mit 'Mitwirkungspflicht'. Was meinen die eigentlich damit?

Intern

Arbeitswelten